Im Reich der Mitte: Eine bemerkenswerte Reise

Im Rahmen des 9. Internationalen Theaterfestival im Mai 2015 gastierte die Zhejiang Modern Drama Troupe aus Hangzhou in Donzdorf und hinterließ sowohl mit ihrer beeindruckenden Bühneninszenierung des Lebens von Konfuzius als auch mit großer Neugierde auf und Beteiligung am interkulturellen Austausch einen bleibenden Eindruck.


Im Anschluss an diese Begegnung zwischen dem Zhejiang-Ensemble und Mitgliedern des Aktionstheaters sprach die Deutsch-Chinesische Gesellschaft eine Einladung an das Aktionstheater aus, im Jahr 2016 das „Reich der Mitte“ zu besuchen und dort ein Werk eines der in China populären deutschsprachigen Autoren – vorranging Goethe und Brecht – zu zeigen.



Dietrich Roth stieß auf Goethes Frühwerk „Das Jahrmarktsfest zu Plundersweilern“, kreierte um das Motiv das Jahrmarktstreibens herum eine Collage der einflussreichsten Werke und Texte Goethes, und Gerhart Kraner stellte eigens für dieses Großprojekt ein Ensemble aus aktuellen und ehemaligen Spielerinnen und Spielern des Aktionstheaters zusammen.



In intensiven Proben in Donzdorf und München wurde über Monate das „Donzdorfer Jahrmarktsfest“ geboren, eine Inszenierung, in der nicht nur sämtliche Theatermittel zum Einsatz kommen - vom körperhaften Spiel über Geräusch- und Lichteffekte bis hin zu Musik und Tanz – sondern auch die gesamte, 27-köpfige Reisedelegation: Abgesehen von den drei Technikern standen alle mitreisenden Aktionstheatermitglieder, befreundeten KünstlerInnen und Persönlichkeiten des Donzdorfer Kultur- und Gemeindelebens auf der Bühne.


Am 27. Juli 2016 brach das Ensemble also nach China auf, und die Reise erlebte in Jiaxing bei Shanghai direkt ihren ersten, einmaligen Höhepunkt: In einem großen Stadttheater spielte unsere Gruppe vor 1200 (!) konzentrierten Zuschauern ihre Goethe- Collage. Die Künstler des Jiaxing-Theaters und die Zuschauer waren begeistert davon, wie sie den Topos „Goethe“ als Gesamtkunstwerk entwickelt und umgesetzt hatten.



Die chinesischen Techniker waren verblüfft darüber, was unsere Techniker Falko Rieger, Michael Kröger und Armin Saalmüller aus ihrer vorhandenen Technik herausholten. Jegliche technische Vorstellung konnte umgesetzt werden - vom Bühnenbild inklusive Gerüst, über Nebel- und Lichteffekte bis zu einer LED-Projektionsfläche für Gerhart Kraners Bilder und den chinesischen Text.


Wir erfuhren, dass das chinesische Publikum sich im Allgemeinen sehr für die deutschen Klassiker des 18. und 19. Jahrhunderts, insbesondere für Johann Wolfgang von Goethe, interessiert. Seine Werke sind weithin bekannt und werden noch immer intensiv gelesen. Beim tosenden Applaus durften sich unsere Spielerinnen und Spieler verdientermaßen in ihrer Leistung sonnen.


Unendlich viele Zuschauerinnen und Zuschauer schossen Selfies mit ihnen, und beim anschließenden Festbankett wurde noch lange über die deutsche Theaterkultur gesprochen, sowie diskutiert und sich ausgetauscht. Alles in allem war unser Gastspiel ein außergewöhnliches Erlebnis mit neuen einmaligen Erfahrungen.


Eine Städtereise durch den Südosten von China schloss sich an. Wir besuchten die Millionenstädte Hangzhou, Shanghai, Nanjing und Beijing. Beeindruckt waren wir immer wieder von der Kultur des „alten“ Chinas, mit z. T. über 3000 bis 4000 Jahre alten Schöpfungen; besonders die Architektur, die Parkanlagen, die Kunstwerke und die Gärten haben wir bewundert und bestaunt. Diese uralte und für uns „fremde“ ästhetische Kultur ist zwar noch immer allgegenwärtig, steht allerdings in überdeutlichem Kontrast zu den Entwicklungen des 20. und 21 Jahrhunderts in China. Die Großstädte mit jeweils über 10 und bis zu 25 Millionen Einwohnern sind durch die kapitalistische und kommunikationstechnische Globalisierung geprägt, und doch waren die Mechanismen der kommunistischen Diktatur immer wieder spürbar. Beeindruckend am Alltagsleben in dieser aufstrebenden Weltmacht waren die unfassbaren Menschenmengen auf den Straßen oder in den Warenhäusern, oder die teils 16-spurigen Autobahnen mit den vielen deutschen Autos und dem dazugehörigen Smog.


Es war eine sehr interessante, beeindruckende und lohnende Reise. Noch lange werden über dieses einmalige Erlebnis sprechen, uns miteinander austauschen, kulturpolitisch und kritisch die Eindrücke überdenken. Das Aktionstheater möchte sich erneut in aller Form bei der Deutsch-Chinesischen Gesellschaft und der Zhejiang Modern Drama Troupe dafür bedanken, dass Sie diesen einmaligen Kulturaustausch ermöglicht haben, sowie bei allen Mitreisenden und Nicht-Mitreisenden, die die erfolgreiche Durchführung des „Mammutprojektes“ „Goethe in China“ begleitet und möglich gemacht haben. Xièxie!

Gerhart Kraner, Dietrich Roth, Raphael Wohlfahrt

Die Bilder wurden freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Tobias Roth